Das Ende der sozialen Medien

Die sozialen Medien scheinen am Ende zu sein, da sie sich immer mehr von echter sozialer Interaktion entfernen und sich stattdessen auf Werbung und Kommodifizierung von Verhaltensüberschüssen konzentrieren.

Anfangs wirkte das Web 2.0 – das sogenannte Mitmachweb, das wir später ausschließlich Social Media nannten – wie ein Heilsbringer in der Welt der damals schon überfordernden Informationsflut. Der Austausch entlang der Themen, mit denen man sich medienkompetent umgeben wollte, gelang, weil noch gar nicht so viele Nutzer, wie damals gedacht, interaktiv wurden. Auch wenn Tim Berners-Lee immer die Partizipation im Auge hatte, als er HTML entwickelte und nebenbei das World Wide Web (WWW) erfand, jenen Meilenstein, der die Kommerzialisierung des Internets einleitete.

In der letzten Zeit drängt sich ein Verdacht auf. Ist Social Media am Ende? Damit meine ich nicht nur den fragwürdigen Umgang mit Informationen, Wirklichkeiten und Wahrheiten, wie es uns auf Twitter begegnet, womit wir schon bei einem ersten Verdachtsmoment ankommen. Auch XING verabschiedete sich im letzten Jahr von der Idee, ein Geschäftsnetzwerk zu sein (2. Verdacht). Vor einigen Tagen hörte man am Rande des OMR Festivals, TikTok wolle nur noch eine Unterhaltungsplattform sein. Ein ehemaliger Facebook-Manager wurde zitiert. Damit hätten wir den dritten Verdachtsmoment schon ausgesprochen.

Die übliche Kritik jener, die einst viel Hoffnung in die Demokratisierung der Medien setzten, klingt dann häufig so, als seien diese Unternehmen bereits dem Untergang geweiht. Primär XING trafen harte Ausläufer, dabei könnte sich der Umbau zu einer Jobplattform noch auszahlen, wenn der von mir hier postulierte Untergang der sozialen Medien tatsächlich so kommt.

Selbst Instagram lässt im engeren Sinne keinen Raum mehr für echte soziale Interaktionen. Das zur reinen Werbeplattform mutierte Bildernetzwerk nimmt zwar gern lobende Kommentare für statische Sonnenuntergänge, lebensbejahende Reels und kontingente Storys entgegen. Gelegentlich fliegen einem Herzchen zu. Echte Interaktion jedoch findet man auch hier nicht. Selbst bei den prominenten Nutzern mit mehreren Millionen Nutzern gibt es keinen echten Dialog, sondern lediglich Bekundungen einer weitestgehend passiven Nutzerschaft.

Manche mögen anmerken, meine hier in aller Kürze präsentierte Kritik, sei gar nichts Neues. Das stimmt. Ich denke nur, dass die bis heute vagen Vermutungen gerade ihren Zenit erreichen, ohne dass wir es richtig bemerken. Es ist, wie es ist und deshalb merken wir den Übergang gar nicht und akzeptieren schlicht, wie sich unser Nutzerverhalten auf der Plattform von den einstigen Hoffnungen distanziert hat. Mit Hartmut Rosa formuliert, entziehen sich die sozialen Medien dem gesellschaftlichen Prinzip und damit uns. Vielleicht waren echte Partizipation nur eine Utopie und für eine kurze Zeit von gerade einmal 15 bis 20 Jahren durften wir miterleben, wie dieser Aufbruch durch ökonomische Erwägungen ad absurdum geführt wurden.

Bleibt die Frage, wie es Linkedin, Reddit und anderen Diensten ergeht. Zu meinen Überlegungen kam ich, als ich mich fragte, wie wichtig eigentlich Linkedin für mein persönliches Werden im geschäftlichen Sinne ist oder noch werden kann, um im selben Augenblick über das Gedachte zu stolpern. Was wäre, wenn ich ab morgen auf Linkedin verzichte und die frei werdenden Ressourcen dazu nutze, meine Schriftlichkeit entlang tradierter Tugenden neu zu erfinden. Social Media war immer schon Mündlichkeit im Gewand der Schriftlichkeit. Meine Arbeitskraft noch stärker in das Rationalitätsmodell einer starken Verschriftung zu investieren wäre womöglich geeigneter, wenn ich mit meinem Verdacht richtig liege und schon bald Plattformen wie Linkedin die Zeichen der Zeit erkennen. Mit der Newsletter-Funktion geht Linkedin schon einen verdächtigen Weg zum alten Sender-Empfänger-Prinzip.

Bekannt ist seit Langem, dass Interaktionen in sozialen Medien eher dazu dienen, einen Verhaltensüberschuss zu kommodifizieren. Jedes Like, jedes Verweile auf einem Beitrag oder einer Anzeige, bietet den Plattformen die Gelegenheit, uns gemäß dem Geschäftsmodell in Nutzerkohorten einzusortieren. Nach dem Verhalten ist vor dem nächsten Sponsored Post.

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