Ich habe ein Buch vor mir liegen, das mich viele Jahre begleitet und wohl zu einem der optimistischen Werke gehört, das ich besitze. Das ausschließlich analog vorliegende Werk gehört zum festen Repertoire meiner Sinnsuche. Es liegt nicht in elektronischer Form vor und kann auch nicht gehört werden. Mit einer Tasse Tee liest es sich besser, behauptet das am Ende nachhallende Kapitel übers Teetrinken. Ich bin gar kein echter Teetrinker. Sei es drum. Das Buch funktioniert für mich, weil es eine wichtige Erklärung beinhaltet, die mir inneren Frieden brachte. Ein einzelner Satz, den ich gern mit Euch teile:
Kreative haben diese Unzufriedenheit mit dem real Existierenden in ihr Leben eingebaut: nur wenn die bisherigen Lösungen nicht ausreichen, wer sie hässlich, schädlich und umfunktioniert findet, wird schöpferisch tätig.
Das ist eigentlich ein Satz aus dem zweiten Kapitel, den ich jetzt mal nach vorn ziehe, um anzukündigen, dass ich in den nächsten Wochen versuchen werde, Euch dieses Buch näherzubringen. Ich wollte es gern noch einmal lesen, wie schon so oft; das Wollen als auch das Lesen. Bislang hatte ich darauf verzichtet, Literaturnotizen zu machen. Die lege ich jetzt hier aus. Denn immer wieder finde ich etwas, von dem ich glaube, es zuvor überlesen zu haben. Ich bin davon überzeugt, dass eine ausführliche Besprechung ausgerechnet dieses Buches genau jetzt in diese Zeit passt. Bald geht es los mit dem Advent und der Vorweihnachtszeit. Die Supermärkte haben schon im Oktober spekulativ begonnen, Spekulatius auszulegen. Ob die jemand kauft? Wie viel Zeit nehmen wir uns in dieser Zeit, tatsächlich zu reflektieren? Dieser etwas ledern wirkende Einband macht uns ein Angebot und im Geiste eines »Working Out Loud« machen wir das jetzt so.
Ich verzichte darauf, Euch einen Adventskalender anzukündigen. Ich werde nicht jeden Tag ein Kapitel besprechen, sondern sehen, wie ich durchkomme. Kein Druck. Und wenn es bis in den Januar dauert, nenne ich die Entschleunigung. Ganz im Stile des Buches, das auf ähnliche Weise entstand, wie ich dem Verlegervorwort entnehme. Es ist ein gewachsenes Buch. »Kein Weihnachtsgeschäft, keine Messe durfte es hetzen« steht auf einer der ersten Seiten. Das klingt machbar.
Folgt mir für mehr, würde man heutzutage wohl sagen und deshalb steigen wir gleich richtig ein.
Existenzialismus
So lautet der erste Satz der Einführung zu Frank Berzbach Buch Die Kunst ein kreatives Leben zu führen. Ein wahnsinnig schönes Buch, auch von außen. Übrigens, auch von Innen. Das Buch war eine Geburt. Wie wir selbst. Darum geht es in den ersten Zeilen. Das Leben sei ein Geschenk, steht da. Gleichzeitig haben wir nicht danach gefragt, hier zu sein. Ins Leben geworfen zu sein, unterstellt uns der französisch beeinflusste Existenzialismus.
Ein Spektrum der philosophischen Auseinandersetzung, das mich seit seinen Ursprüngen in der Phänomenologie um Edmund Husserl beschäftigt. Natürlich gab es schon frühere Existenzialisten. Mein Einstieg jedoch begann mit dem neu vertretenden Neo-Existenzialismus von Markus Gabriel, auf den wir noch zu sprechen kommen, in einem der nächsten Artikel. Von dieser aktuellen philosophischen Konzeption ausgehend, führte mich mein Weg über die Existenzialisten in Paris, über Emmanuel Levinas und Edmund Husserl. Das alles geschah zu einem Zeitpunkt, als ich schon wusste, kein Opfer der Umstände mehr sein zu wollen. Der Existenzialismus war hier eine fakultative Therapie. Sich einmal grundsätzlich mit den Überlegungen von Jean-Paul Sartre und seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir auseinandersetzen, zu verstehen, was Albert Camus gemeint haben könnte, obwohl er sich selbst nie als Existenzialist sah. Die Entwicklung des Existenzialismus historisch nachzuvollziehen, gehört einfach mit dazu. Man kommt um die gesellschaftlichen Zerwürfnisse der 1920er- und 1930er-Jahre nicht umhin.
Drei geeignete, eher populär verfasste Bücher sind diese: Von Wolfram Eilenberger Feuer und Freiheit. Außerdem Zeit und Zauberer. Darin wird der Zeitraum zwischen 1919 und 1943 entlang prägender Denkerinnen und Denker dieser Zeit beschrieben. Die intensive Auseinandersetzung mit den Werken der Philosophen Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger hilft dabei, das Prägende in dieser Epoche nachzuvollziehen. Das gelingt in »Zeit und Zauberer«. In Feuer und Freiheit treffen wir Simone de Beauvoir, Ayn Rand, Hannah Arendt, eine meiner sonstigen Heldinnen und Säulenheiligen, sowie Simone Weil. Das dritte Buch handelt über Das Café der Existenzialisten von der Engländerin Sarah Bakewell. So viel sei verraten. Hier treffen wir einige der oben erwähnten Philosophen beim Aprikosencocktail wieder und das hat etwas mit der bereits erwähnten Phänomenologie zu tun. Ich empfehle die Hörbücher für alle drei Vorschläge.

Wie wollen wir leben?
Fast wirkt die Frage – wie immer – etwas zu früh. Mancher meint, zunächst müssten einige Probleme rational gelöst werden, um sich dann später und vielleicht um das Leben zu kümmern. Langsam aber sicher sickert die Einsicht durch, dass das so nicht stimmt. Kritik an dieser Einsicht zuckt noch und verweist auf Arbeitsethik und andere als Tugenden missbrauchte Regelwerke. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, war eine Losung der aufstrebenden Wirtschaftsnation. Angekommen im Wohlstand, klingt das für manche etwas verwahrlost. Darauf antwortet Frank Berzbach: »Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel«. Die Frage danach, wie wir leben wollen, soll provozierender, klüger und ermutigender klingen, als der Allgemeinplatz der Frage nach dem Sinn des Lebens.
Das Buch, das uns in den kommenden Wochen beschäftigen wird, ist herrlich, weil es auf die Vermittlung von Methoden und Kreativtechniken verzichtet. Abgesehen von der Anleitung, richtig Tee zu trinken. Der Untertitel ist Programm. Alles zwischen den beiden Buchdeckeln will eine Anregung zur Achtsamkeit sein. Wir beginnen mit dem Abschnitt »Das Leben als Atelier« und dann sehen wir uns bald wieder. Im Tunnel am Ende des Lichtes.