Die Kritik an einem Appell, der Kritik übt, empfinden viele als Angriff auf ihre Willensfreiheit. Häufig ist die Willenskraft, die mit der Kritik angesprochene Mahnung zum gegenteiligen Handeln auffordert, nicht sehr ausgeprägt. Dann bleibt der Einwand ein Feigenblatt. Ansonsten folgt gern ein Appell auf den Appell. Jemand wünscht sich mit privater Moral garniert Dinge oder ein Verhalten derer, die zuvor Kritik übten, bezogen auf eine Sache.
Im Falle von offenen Briefen ist das regelmäßig in sozialen Medien zu beobachten. Häufig distanzieren sich Menschen von Appellen, die sie dann als hysterisch, überzogen oder der Sache nicht gerecht werdend deklarieren. Dahinter steckt manchmal einfach nur eine narzisstische Verletzung, Geltungsdrang oder andere Eitelkeiten. Ein anderes Mal ist es der Versuch, sich mit der Gegenrede neutral zu stellen, was häufig misslingt.
Beispiel menschengemachter Klimawandel
Gelegentlich ist zu beobachten, dass sich Menschen gegen offene Briefe, Manifeste, Stellungnahmen und Rechtfertigungen von Klimaaktivist:innen stellen. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das viel zu wenig Beachtung erfährt oder sagen wir besser, dessen Beachtung keinen Nutzen für den eigentlichen Diskurs mitbringt. Denn anstatt in der Sache zu diskutieren, sind kritische Beiträge an einer Kritik, die ein Verhalten einfordert, nur ein Ablenkungsmanöver und sie zielen auf die falschen Dinge.
Wir sind soziale Tiere. Anstatt um die Antwort auf die Frage »Was ist der Mensch?« zu ringen, werfen wir uns Dinge vor, die man gelegentlich unter Wohlstandsverwahrlosung verbuchen könnte. Wir reden nicht über den Menschen, sondern über die Güter, die wir konsumistisch anhäufen. Dazu gehören mittlerweile auch Wortmeldungen, die langsam ihren Warenfetisch erfahren. Die Kritik auf die Kritik muss produziert werden. Manche habe dazu die Mittel und das humane Kapital und versuchen, die erste Kritik zu widerlegen. Nur leider mit den falschen Mitteln.
Egal, ob Verbrennermotor, das Paar Schuhe zu viel, Fleisch, Flugreisen oder ein Smartphone mit seltenen Erden und natürlich jedes andere Konsumgut. Wir diskutieren über die Annehmlichkeiten und nicht einmal Olivenöl ist davor mehr sicher. Das hinterlässt im Prinzip einen höheren Fußabdruck als Leinöl aus der Dorfmühle, die es aber schon lange nicht mehr gibt. Wir verrennen uns in gegenseitigen Vorwürfen und rechnen den Diskurs auf und kommen immer zum gleichen Ergebnis. Wie bei Collatz-Funktion, die immer wieder bei 1 landet und das gilt für jede natürlich Zahl.
Wir alle bleiben gesellschaftlich eingebettet im Miteinander und häufig ist die Willenskraft da, aber der Handlungsrahmen klein. Plastikfrei Einkaufen ist in Deutschland ein Vollzeitjob. Der Widerspruch erklärt sich von allein. Auch wenn immer wieder appelliert wird, es fange beim Einzelnen an. Sich gegen das Bollwerk der Plastiklobby zu stellen, ist vergeblich und das macht diskursmüde, womit ein wichtiger Teil der Lobbyziele erreicht wäre.
Es ist legitim, den Inhalt von offenen Briefen für sich persönlich abzulehnen. Das ist nicht einmal ein Irrtum, weil der Akt lediglich jene mangelnde Handlungsfreiheit markiert, die in der Sache manchmal nicht aufgebracht werden will. Dies öffentlich zu dokumentieren, liegt im persönlichen Ermessen und darf sogar begrüßt werden. Doch hat das in diesem Fall nichts mit dem »Menschen in der Krise« zu tun.
Zur Klarstellung: Ich stelle hier lediglich fest, dass die Distanzierung von einem Appell kein Beitrag zur Lösung ist. Dadurch wird man nicht Teil des Problems. Sogar in der Angelegenheit des menschengemachten Klimawandels ist es möglich, sich neutral zu stellen. Das muss man dann aber auch aushalten.