Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, Deinem Kind einen Chip zu implantieren? Das wäre doch praktisch. So könntest Du jederzeit dessen Standort bestimmen. Zugegeben, ich bin spät dran, diese verstörende Überzeichnung elterlicher Fürsorge anzusprechen.
Schon Ende 2017 begann eine Diskussion dazu, wie weit der Kontrollzwang verunsicherter Eltern einer von Technologie durchwirkten Wohlstandblase gehen darf. Mit Arkangel zeigte Regisseurin Jodie Foster in der zweiten Folge der vierten Staffel von »Black Mirror«, in welchen Wahnsinn wir mithilfe digitaler Möglichkeiten geraten könnten.
Zunächst ist man als Zuschauer empathisch mit der alleinerziehenden Mutter Marie. Man kann ihre Sorgen verstehen. Diese stumme Unterstützung verpufft nicht einmal, als bei dem Kind ein Implantat gesetzt wird. Diese kleine Unsichtbarkeit im Gehirn der Tochter erlaubt es Marie, das Seh- und Hörvermögen ihrer Tochter Sara mit einem Tablet-Computer zu überwachen. Auch medizinische Live-Daten und frühere audiovisuelle Feeds lassen sich mit dem Implantat nachvollziehen. Im Verlauf wandelt sich das Gefühl aus seichter Unterstützung für die Mutter zu einem subjektiven Anfall von Ekel. Dass die Serie nur Fiktion sei, gilt als Argument für ein Negieren nicht. Denn alles Schein ist Sein. Die Idee ist in der Welt. Vielleicht sogar eine Ideologie.
Neulich wurde mir mithilfe kontextsensitiver Werbung ein GPS-Sender für Hunde angeboten. Das Netzwerk weiß, dass wir neuerdings einen Hund haben. Vorgestern fragte ich an dieser Stelle: »Was ist der Mensch?« Ich folgte meinem eigenen Rat und schaute auf unseren Hund. Dabei erinnerte ich mich an ein Gefühl, neulich bei unserer Tierärztin.
Hunde werden in Europa gechipt. Das hatten wir hinnehmen müssen. Als Bürger ohne Hund war uns nie in den Sinn gekommen, uns in das Für und Wider für einen Erlass, der ein solches Implantat zur Pflicht macht, einzumischen. Die Information drang erst mit der Anschaffung eines Hundes zu uns durch und sogar da klang das noch vernünftig. Hund plus Chip verspricht weniger Verlustangst. Von unserer Tierärztin erfuhren wir noch, dass die Chips der neueren Generation auch Vitaldaten wie Körpertemperatur messen. Wow.
Im Jahr 2017, in dem die Black-Mirror-Folge erstmals verfügbar wurde, sprach Sascha Lobo beim DRG-Forum und sagte, er glaube nicht daran, dass Menschen in absehbarer Zeit akzeptierten, sich Technologie implantieren zu lassen. Tracker würden zwar am Körper, aber nicht im Körper akzeptiert; wenn er sich da mal nicht getäuscht hat. Damals fand eine – zugegeben wenig belastbare – Marktforschung heraus, dass sich 5 % der amerikanischen Frauen einen Chip im Arm vorstellen können. Für bessere Shoppingerlebnisse.
Ist es nicht so, dass hier sensorische und soziale Anpassung miteinander kollidieren?
Bei unseren Hunden haben wir eine moralische Grenze bereits überschritten. Das ist hinsichtlich der Sensorik zweideutig. Wir implantieren einen Sensor. An den Fremdkörper gewöhnt sich das Tier schnell. Unterdessen wird die Sensorik unserer Moral gestört, ohne dass es uns ernsthaft kümmert. Die Omnipräsenz von Technologie in unseren Lebenswirklichkeiten, lässt niemanden ernsthaft aufbegehren. Schon gar nicht formiert sich kollektiver Widerstand. Klingt doch alles logisch. Wir schützen auf diese Weise ein unberechenbares Lebewesen seiner selbst willen. Das ist gewissermaßen ein göttlicher Dienst am Tier; vom Menschen erdacht. Alles im Sinne der Nützlichkeit. Dabei geht es hier mehr um uns als um den Vierbeiner.
Mit den hinter der Vorschrift liegenden Motiven, die den Einsatz dieser Technologie erzwingen, setzen wir uns lieber nicht auseinander. Nicht, dass wir eine rechtsstaatlich legitimierte utilitaristische Dystopie erkennen, die mit der Fiktion in Arkangel bei Black Mirror Schritt halten könnte.
Es gibt bereits einen Markt für diese Art der Überwachung. Die passenden Geschäftsmodelle liegen heute schon im Gewand bunter Plastikuhren für Kinder in den Läden für Telekommunikationsbedarf. Ganz zu schweigen von dem GPS-Empfänger für unseren Hund, der schön da bleibt, wo er ist. Auch der Hund.
Ich habe die Befürchtung, es könne der Tag kommen, an dem wir das maximal miniaturisierte Gadget an unseren Handgelenken schlucken oder bereits pränatal injiziert bekommen. Auch wenn ich meine Wanderungen mit dem Smartphone dann schon längst nicht mehr aufzeichne.