Zur Gefräßigkeit des Menschen

Der Mensch ist das Tier, das keines sein will und das sich in Tatsachen verstrickt sieht.
Earth with clouds above the African continent
Photo by NASA on Unsplash

Dieser Text entstand entlang meiner Literaturnotizen zu einer Folge des Philosophischen Radios auf WDR 5. Zum Buch »Unterwerfung – Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur« von Philipp Blom bespricht der Host Jürgen Wiebicke gemeinsam mit dem Autor die Ideologie, dass der Mensch glaubt, die Natur unterwerfen zu müssen. Es wird diskutiert, woher diese Ideologie kommt und welche Auswirkungen sie auf die Umwelt hat. Auch die Grenzen zwischen Natur und Kultur werden beleuchtet, sowie die Komplexität von Tieren im Vergleich zum Menschen.

Macht Euch die Erde untertan

Die Wurzeln dieser Ideologie liegen weit vor der in der Bibel kodifizierten Aussage, mit der der Mensch aufgefordert wird, sich die Erde untertan zu machen. Die Natur hatte in der Folge keine Stimme mehr und wurde von den meisten Kulturen als Ressource betrachtet. Ursprung dieses Gedanken führen zurück bis ins frühere Mesopotamien, im heutigen Irak. Schon auf der Ukur-Vase vor ca. 5.000 Jahren rangiert die Erde auf den Darstellungen unter dem Menschen.

Früher waren die Folgen, die Natur beherrschen zu wollen, ein lokales Phänomen. Egal, ob wir hier von Kulturlandschaften sprechen oder räumlich begrenzten Umweltkatastrophen. Mittlerweile wissen wir, dass die Natur sich auf ihre eigene Weise mitteilt und dass es eine Hierarchie zwischen Mensch und Natur nicht geben kann.

In animistischen Kulturen wird die Natur nicht als Ressource betrachtet, sondern als Partner gesehen. Jeder Schritt, den ein animistisch geprägter Mensch tat, unternahm er mit der persönlichen Würdigung, sich auf fremdem Territorium zu bewegen. Das erinnert uns daran, dass wir verstrickt leben.

Der Mensch ist das Tier, das keines sein will und das sich in Tatsachen verstrickt sieht.

Das hat einiges damit zu tun, dass wir bereits tausende Jahre daran herumrätseln, warum wir als vernunftbegabte Wesen anders sind, als andere Tiere. Heute wissen wir: Tiere sind psychologisch komplexer, als wir es ihnen bisher erlaubten. Auch die vermeintlich Menschen vorbehaltenen Aspekte wie Moral, Gewalt oder den Sexualpraktiken sind bei Tieren komplexer, als wir bislang angenommen haben. So gibt es nur eine sexuelle Verhaltensweise, die dem Menschen vorbehalten ist: das freiwillige Zölibat.

Industrialisierung

Die Industrialisierung hat unser Verhältnis zur Natur zerstört und Umweltprobleme sind kein lokales Phänomen mehr. Die Beeinflussung von natürlichen Systemen hat eine globale Größenordnung erreicht. Rund zwei Jahrhunderten war die Industrialisierung eine Erfolgsgeschichte der Menschheit, in der wir unsere technologische Reichweite ausdehnen und unsere Produktivität enorm steigern konnten. Seit den 1950er-Jahren jedoch beginnt die Überforderung von Systemen und ausgerechnet in diese Zeit fällt auch der Bericht der Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums, den wir bis heute nicht ernst nehmen und der sogar dringend aktualisiert werden müsste.

Die derzeitige Phase der Menschheit hält an Einsichtoptionen nicht weniger bereit als die Kopernikanische Wende. Wir haben es in den letzten rund 250 Jahren versäumt, zu erkennen, dass wir nicht über der Natur stehen.

Der Mensch wird selbstredend nicht in der Natur aufgehen, weil das Rätsel, das uns Menschen wach hält, kaum gelöst werden kann. Wir werden nicht das Tier, das wir romantisieren und wir werden auch nicht Gott, der eine Komplexität beherrschen könnte, die schon unsere Gehirne nicht schaffen zu überblicken. Nicht einmal mit maschineller Intelligenz, die aus menschengemachten Computern zu uns spricht.

Wir müssten einsehen: Der Mensch ist nicht das wichtigste Lebewesen auf der Erde. Pilze, Bakterien und andere Lebewesen sind viel wichtiger als der Homo sapiens. Verschwindet der Mensch, sind keine natürlichen Systeme infrage gestellt. Sie werden nur anders und erreichen in einem sich fortsetzenden Prozess Bedingungen, in denen der Mensch nicht mehr überleben konnte.

Zur Einsichtsfähigkeit von Menschen

Die Kränkung des Menschen durch die Erkenntnis, dass wir mittlerweile lebensnotwendige Systeme überfordern, in denen wir eingebettet sind und die sich jetzt gegen uns wenden, ist eine wenig glückliche Formulierung. Schließlich hatten wir seit Jahrhunderten Zeit, uns nicht wie Hefe auf einem niedrigen Niveau als gefräßige Spezies zu behaupten, sondern könnten unseren Metabolismus selbst umstellen. Die Beleidigung kommt als nicht in Form eine Entdeckung, sondern liegt in der Tatsache, dass wir entgegen besseren Wissens, nicht wirklich etwas ändern.

Genau darin liegt die Pointe und größte Herausforderung, die der Mensch in den nächsten Jahrhunderten zu bewältigen hat.

Insgesamt zeigt der Podcast, dass die Ideologie, dass der Mensch die Natur unterwerfen müsse, falsch ist und dass wir stattdessen mit der Natur zusammenarbeiten sollten. Wir sollten uns daran erinnern, dass wir nicht über der Natur stehen und dass wir verstrickt leben. Nur wenn wir unsere Beziehung zur Natur ändern, können wir eine nachhaltige Zukunft für uns und kommende Generationen schaffen.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie wir mit der Natur zusammenarbeiten können. Die großen Lösungen liegen auf dem Tisch. Wir können etwa erneuerbare Energien nutzen, um unseren Energiebedarf zu decken. Auch die Verwendung von nachhaltigen Materialien und die Förderung von Recycling können dazu beitragen, dass wir weniger Abfall produzieren und die Umwelt weniger belasten. Ebenso können wir uns auch für den Schutz von bedrohten Arten und Lebensräumen einsetzen. Indem wir uns für den Erhalt von Wäldern, Seen und Flüssen einsetzen, können wir sicherstellen, dass diese wichtigen Ökosysteme auch in Zukunft erhalten bleiben.

Der Mensch hat als vernunftbegabtes Tier die einzigartige Chance, sich nicht weiter selbst infrage zu stellen.

Beziehung zur Natur

Natürlich ist es nicht immer einfach, unsere Beziehung zur Natur zu ändern. Zumal es nicht einfach ist, in den Rahmenbedingungen, in die wir eingebettet sind, etwas auf individueller Basis zu verändern. Das gelingt zwar, ist gegenüber den Veränderungen in Gesellschaft und Kultur aber zu langsam. Wir leben in einer Gesellschaft, die auf Wachstum und Konsum ausgerichtet ist. Konsum jedoch ist diese Art von Gefräßigkeit, die vereinnahmend wirkt und lebendige Systeme in tote Masse verwandelt.

Aber wenn wir uns bewusst für eine nachhaltigere Zukunft einsetzen, können wir dazu beitragen, dass sich auch unsere Gesellschaft langfristig verändert.

Insgesamt ist es wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass wir Teil der Natur sind und womöglich nie in ihr aufgehen werden können. Trotzdem müssen wir mit der Natur zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Zukunft für uns und kommende Generationen zu schaffen.

Weitere Artikel

Content Marketing und Soziale Verantwortung
Humanismus

Jens Spahn meint wohl:
Wer nicht verhungert, ernährt sich gesund

Jens Spahn könnte alles, was Verhungern verhindert, als gesunde Ernährung verstehen.

ESSAY

Meine Forderung zur Novellierung des Geschäftsmodells Krankenhaus

Roland Engehausen widersprach mir und es klang tatsächlich so, als verstehe er das Wort Geschäftsmodell als rein wirtschaftliches Konzept. Dies ist meine Antwort an den …

ESSAY

Frank Stratmann kümmert sich um wichtige Weltzusammenhänge

Ich habe mal nach Frank Stratmann gesucht und interessante Dinge gefunden.

ESSAY

Ich kenne mich nicht aus

Gesundheitsbeziehungen in einem solidarischen System sollten sich im Wesen eine neue Güte von Zwischenmenschlichkeit anverwandeln. Einerseits um das asymmetrische Wissensverhältnis zwischen Patient und Arzt anzuerkennen. Andererseits um dem sich abzeichnenden Trend entgegenzutreten, Verantwortung und Eigeninteresse gänzlich voneinander trennen zu wollen.